Knatsch um neue Migrationskampagne von Eurasia-Rat

DIE ZEIT (EDITION EURASIEN), 15. SEPTEMBER 2050 – 15 Jahre nach seiner Gründung lanciert der Vereinte Eurasische Rat erneut eine grossangelegte Mobilisierungskampagne in der südlichen Hemisphäre, um Menschen Richtung Nordhalbkugel zu bewegen. Trotz der politisch breit abgestützten Lancierung der Kampagne regt sich im Alpenraum einmal mehr Widerstand.

Am 30. August hat der Vereinte Eurasische Rat ein umfassendes Massnahmenpaket verabschiedet, das die Migration in Richtung Eurasien weiter verstärken soll.
Aaron Eggelbein, Minister für Diversität und Migration, betont die Dringlichkeit einer raschen Umsetzung: «Eine baldige, substantielle Erhöhung der Migrationsrate nach Eurasien ist nicht nur wichtig, um mittelfristig unser wirtschaftliches System aufrechtzuerhalten und das kulturelle Leben zu bereichern. Sie ist ganz grundsätzlich essentiell für das längerfristige Überleben der menschlichen Spezies, weil wir nur so hoffen können, den dramatischen Bevölkerungsrückgang zu stoppen.» Auf kritische Nachfragen antworteten diverse Ratsmitglieder, dass die Zeiten der Abschottung nach der Grossen Zäsur definitiv vorbei seien.

Mehrheit der Bürger:innen weiterhin für Prozess der Grossen Einbindung

Bereits Anfang des Jahres 2035, fünf Jahre nach der Grossen Zäsur, als durch die beispiellose Zusammenarbeit der damaligen Nationalstaaten China, EU und den USA endlich ein wirksames Antiinfektivum gegen den Erreger der Ziegen-Pestilenz (Yersinia pestis capra) entdeckt wurde, waren sämtliche zivilisatorischen Strukturen in den Ursprungsregionen der Krankheit im globalen Süden kollabiert.
Die nördlichen Regionen waren dank rigider Abschottung und drakonischer Hygienemassnahmen zwar glimpflicher davongekommen, aber der Einbruch der Geburtenraten war bereits ein Jahr nach der Grossen Zäsur überdeutlich und hat sich seitdem massiv verstärkt. So war es nicht erstaunlich, dass der Entscheid des Ende 2035 neu geschaffenen Vereinten Eurasischen Rates, im Rahmen der Grossen Einbindung sämtliche Überlebenden auf der Südhalbkugel unbegrenzt aufzunehmen, auf wenig Widerstand stiess.
Umfragen zeigen auch noch heute, 15 Jahre später, ein klares Bild: Die überwiegende Mehrheit der Eurasischen Bevölkerung unterstützt nicht nur die aktuelle Migrationskampagne (72% dafür), sondern steht auch weiterhin klar hinter dem Prozess der Grossen Einbindung (78% dafür). Insbesondere in den östlichen Regionen nahe dem Pazifik, in den Küstengebieten des Indischen Ozeans sowie an der Nord- und Ostsee sind die Zustimmungsraten mit 93% sehr hoch. Nicht wenigen gehen die Pläne des Eurasischen Rates sogar noch nicht weit genug: Über 55% der Befragten wünschen sich grössere Investitionen in die Migrationsbemühungen.
Nur in wenigen Bezirken in den Gebieten entlang des Alpenkamms ist der Widerstand gross, wobei sich der «Bund der Alpenregionen» ganz besonders pointiert gegen die Pläne stellt.

Zusammenschluss von «Hinterwäldlern» und radikalen Migrationsgegnern

Der Bund der Alpenregionen ist bereits seit der Gründung vor 15 Jahren dafür bekannt, jegliche Entscheide des Eurasischen Rates, die eine Förderung der Immigration aus dem Süden zum Ziel haben, konsequent zu bekämpfen. Damit verbunden ist eine tief verwurzelte Aversion gegenüber Menschen aus dem globalen Süden, aber auch ein ganz grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Eurasischen Rat, der als zentralistisch und bevormundend wahrgenommen wird.
Bestimmte Forderungen einiger Exponent:innen des Bundes scheinen nun aber sogar früheren Gesinnungsgenoss:innen zu weit zu gehen, wie zum Beispiel im Falle des ultra-konservativen Think-Tanks «Pro Separatio». Während diese Organisation in der Vergangenheit migrationskritische Stimmen meistens unterstützt und auch selbst immer wieder mit migrationsfeindlichen Positionspapieren aufgewartet hat, bezeichnete sie den Bund in einem kürzlich publizierten Beitrag als «idyllisch, aber hinterwäldlerisch».
In Tracking-Reports des Vereinten Eurasischen Rates wurde zudem vor Kurzem publik gemacht, dass offenbar mehrere Absprachen zwischen Vertreter:innen des Bundes und verschiedenen radikal-anarchistischen und militanten Anti-Migrationsgruppierungen stattgefunden haben. Diese vermeintliche Zusammenarbeit ist erstaunlich. Selbst Fachexpert:innen haben nicht damit gerechnet, dass sich vermögende Rückzügler aus dem Alpen-Bund mit militanten Aktivist:innen absprechen würden – geschweige denn gemeinsame Oppositionspläne schmieden könnten.
Trotzdem sieht der Vereinte Eurasische Rat die aktuelle Migrationskampagne aber nicht ernsthaft in Gefahr, und der Rückhalt der Bevölkerungsmehrheit scheint gesichert. Minister Eggelbein meinte dazu: «In Eurasien bleiben wir auch in Krisensituationen ein der Demokratie verpflichteter Erdteil. Es ist jetzt essentiell, dass wir zu unseren Freunden im Süden halten, Minderheiten schützen und konsequent Leben retten!»
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